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Klingendes Kulturgut
Definition von "klingendes Kulturgut der Schweiz"
für die Erwerbspolitik der Schweizerischen Nationalphonothek
Einleitung
Der Ausdruck "klingendes Kulturgut" kann je nach Kontext auf verschiedene Art verstanden und interpretiert werden. Für ein Tonarchiv wie z.B. eine Phonothek ist die Definition dieses Begriffes von großer Bedeutung, denn damit wird auch der Sammelauftrag definiert. Eine klare Definition von "Kulturgut" gehört deshalb zum globalen Konzept einer Phonothek, da darauf nicht nur das Sammeln, sondern alle ihre Tätigkeiten beruhen, von der Langzeitarchivierung über die Dokumentation bis zur weiteren Nutzung dieses Kulturguts
Im Rahmen der Entwicklung eines neuen Konzepts für die Schweizerische Nationalphonothek (FN = Fonoteca Nazionale) musste der Ausdruck "klingendes Kulturgut" definiert werden, um eine kohärente Politik für den Erwerb der Sammlungen zu ermöglichen. Dies war umso wichtiger, als die Schweiz kein Gesetz über die Hinterlegung von Pflichtexemplaren auf nationaler Ebene besitzt. Die folgenden Festlegungen stehen daher an Stelle eines Gesetzes, betreffen jedoch nur die Schweizerische Nationalphonothek und ihren Auftrag zur Sammlung des klingenden Kulturguts der Schweiz.
Rechtliche Situation
Die Erwerbspolitik für die FN muss aus den Texten des Bundesgesetzes über die Schweizer Nationalbibliothek (NB), auf dem der Auftrag der FN basiert, sowie aus der Satzung der «Stiftung Schweizerische Nationalphonothek» abgeleitet werden. Das Gesetz über die NB legt folgendes fest:
In Art. 2 - Aufgabe
Die Nationalbibliothek hat zum Ziel, Druckerzeugnisse oder andereInformationsträger, die einen Bezug zur Schweiz haben, zusammeln, zu inventarisieren, aufzubewahren, zugänglich und bekannt zu machen.
In Art. 3 -Sammlungsauftrag wird präzisiert:
Die Nationalbibliothek sammelt Druckerzeugnisse oder andere Informationsträger, die:
a)
in der Schweiz veröffentlicht werden;
b)
sich auf die Schweiz, ihre Bürger oder Einwohner beziehen;
c)
vollständig oder teilweise von schweizerischen Autoren geschaffen werden oder mit der Schweiz in Verbindung stehen.
Auf Grundlage dieses Gesetzes legt Art. 2 Zweck der Satzung der FN-Stiftung die folgenden Aufgaben fest:
Die Schweizerische Nationalphonothek hat den Erwerb, die Aufbewahrung, die Klassifizierung und die Wiedergabe des klingenden Kulturguts der Schweiz bzw. das für die Schweiz von Bedeutung ist, sowohl in Form von physischen Datenträgern als auch Informatikdatenträgern, zur Aufgabe.
Insbesondere gehören zu diesem Kulturgut:
a)
kommerzielle Tondokumente, die in der Schweiz produziert werden;
b)
Tondokumente, die im Ausland produziert werden und deren Inhalt für das kulturelle Leben der Schweiz von Bedeutung ist;
c)
nicht kommerzielle Tondokumente, die sich aus der wissenschaftlichen Forschung ergeben;
d)
nicht kommerzielle Tondokumente, insbesondere die "Helvetica"-Aufzeichnungen von Rundfunkanstalten.
Für eine kohärente Politik über den Erwerb der Sammlungen und eine tägliche Ausführbarkeit sollen nachfolgend die Ausdrücke "klingendes Kulturgut der Schweiz" und / oder "Helvetica" (von nun an "klingendes Kulturgut") genauer definiert werden. Diese Definitionen dienen dazu, Richtlinien für die von der Schweizerische Nationalphonothek zu erwerbenden Sammlungen festzulegen.
Wie bereits erwähnt, besitzt die Schweiz kein Gesetz über die Hinterlegung von Pflichtexemplaren auf nationaler Ebene, das eine genauere Definition von klingendem Kulturgut liefern könnte. Außerdem basiert die Praxis für einen unentgeltlichen Erwerb von Tonträgern auf Abmachungen und Vereinbarungen mit Musikern, Herstellern und Verteilern von Tondokumenten, da die FN keine finanziellen Mittel für den Ankauf zur Verfügung hat.
In Bezug auf den Inhalt oder die Eigenschaften der einzelnen Dokumente oder ganzer Nachlässe kann der Ausdruck "klingendes Kulturgut" verschiedene Bedeutungen annehmen. Aus diesem Grund ist es notwendig, die Tondokumente in verschiedene Gruppen zu unterteilen und den Ausdruck "klingendes Kulturgut" im Verhältnis zu jeder Gruppe zu definieren.
Erwerb
1.
Tondokumente
1.1
Die veröffentlichten (kommerziellen) Tondokumente, d.h. die Aufnahmen, die von der Schallplattenindustrie produziert werden:
a)
Zum "klingenden Kulturgut" gehören alle in der Schweiz oder im Ausland veröffentlichten Dokumente, die Werke von Schweizer Autoren (Komponisten, Textverfassern, Arrangeuren ...) enthalten.
b)
Zum "klingenden Kulturgut" gehören alle in der Schweiz oder im Ausland veröffentlichten Dokumente, die Werke mit Schweizer Interpreten (Musikern, Schauspielern ...) enthalten
c)
Zum "klingenden Kulturgut" gehören alle Dokumente von ausländischen Personen, die in der Schweiz wohnhaft sind und deren Tätigkeit für das kulturelle Leben der Schweiz von Bedeutung ist.
d)
Zum "klingenden Kulturgut" gehören alle Dokumente, die in der Schweiz produziert und veröffentlicht und werden, und zwar unabhängig vom Inhalt.
e)
Zum "klingenden Kulturgut" gehören alle Dokumente, die im Ausland veröffentlicht werden und deren Inhalt für das kulturelle Leben der Schweiz von besonderer Bedeutung ist.
1.2
Die veröffentlichten oder unveröffentlichten Tondokumente eines Nachlasses oder einer besonderen Sammlung:
In diesem Falle erstreckt sich die Definition von "klingendes Kulturgut" auf alle Dokumente, die sich in einem Nachlass oder einer Sammlung befinden, der/die eine gewisse Einheit in seiner/ihrer Zusammenstellung zeigt und/oder von einem besonderen kulturellen Interesse einer Person oder Institution in der Schweiz zeugt. Die Definition von "klingendes Kulturgut" gilt für den Nachlass oder die Sammlung selbst.
1.3
Die unveröffentlichten Tondokumente, die von der wissenschaftlichen Forschung erzeugt werden:
a)
Zum "klingenden Kulturgut" gehören alle Dokumente, die von einem Forscher oder einem Forschungsinstitut der Schweiz geschaffen werden.
b)
Zum "klingenden Kulturgut" gehören alle Dokumente, die von einem Forscher oder einem Institut im Ausland geschaffen werden und deren Inhalte für die Schweiz von besonderer Bedeutung sind.
1.4
Die nicht kommerziellen Tondokumente von anderen Instituten, Organisationen, Verbänden oder Personen:
a)
Zum "klingenden Kulturgut" gehören alle Dokumente, die von Instituten oder Einrichtungen geschaffen werden, die im kulturellen oder politischen Leben der Schweiz aktiv sind (Organisationen, Orchester, Festivals, Konzerte, Parteien, etc.).
b)
Zum "klingenden Kulturgut" gehören alle Dokumente, die zu künstlerischen Zwecken von Personen geschaffen werden, die einen besonderen Bezug zur Schweiz haben.
1.5
Die "Helvetica"-Aufzeichnungen von Rundfunkanstalten:
Die Tondokumente, die aus eigener Produktion der Rundfunkanstalten hervorgehen, gehören zum "klingenden Kulturgut" der Schweiz. Ihre Sammlung und Aufbewahrung wird in Zusammenarbeit mit den Archiven dieser Einrichtungen durchgeführt.
2.
Ergänzende Dokumente und technische Mittel
2.1
Die Begleitdokumente und ergänzenden Dokumente:
a)
Zum "klingenden Kulturgut" gehören alle Begleitdokumente und alle ergänzenden Informationen (in Papierform oder anderer Form), die zur Dokumentation der Tonträger beitragen.
b)
Zum "klingenden Kulturgut" gehören alle Informationen (in Papierform oder anderer Form), die die Geschichte der Tonträger, der Autoren, der Interpreten, der Produktion (Kataloge) dokumentieren, sowie jede andere Dokumentation, die dem Verständnis der Tondokumente und des zugehörigen Inhalts dient.
2.2
Technische Mittel:
a)
Zum "klingenden Kulturgut" gehören alle Geräte und technischen Instrumente, die für das Lesen und die Wiedergabe der Tondokumente notwendig sind (Geräte, Ersatzteile, ...).
b)
Zum "klingenden Kulturgut" gehört die gesamte Dokumentation in Bezug auf die Geschichte und die Aufnahmetechniken sowie die Dokumentation in Bezug auf die Produktions- und Lesegeräte.
Zusammenarbeit
Hinsichtlich des Erwerbs von Tondokumenten bemüht sich die FN, die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen zu suchen. Die FN muss nicht um jeden Preis die Dokumente erwerben, sondern kann als Kompetenzzentrum für das klingende Kulturgut der Schweiz, den ordnungsgemäßen Schutz und die Zugangsmöglichkeit der Dokumente, die sich in anderen schweizerischen Einrichtungen befinden, sicherstellen. In diesem Falle wird die FN versuchen, eine Archivkopie zu erwerben.
Anwendung
Der Erwerb von Tondokumenten basiert auf den vorstehend genannten Definitionen und wird in den "Richtlinien für den Erwerb von Tondokumenten und ergänzenden Dokumenten" konkretisiert.
Der Erwerb von Tondokumenten darf nicht technischen oder sonstigen Schwierigkeiten untergeordnet werden.
Sammlung
Die Sammeltätigkeit der Schweizerische Nationalphonothek begann 1986. Durch das SUISA-Depositum sowie verschiedene andere Sammlungen konnte der Bestand mit zahlreichen früher erschienenen Tonträgern ergänzt werden. Da die Schweiz keine gesetzliche Ablieferungspflicht für veröffentlichte Tonträger kennt, darf Vollständigkeit im Sinne des Sammelauftrags nicht erwartet werden. Deshalb sind auch in den nach 1986 gesammelten Beständen nicht alle publizierten Tonträger enthalten. Alle Tonträger sind in der Datenbank der Nationalphonothek dokumentiert und können auf dieser Web-Site konsultiert werden.
Die Sammlungen enthalten:
Produkte der Schallplattenindustrie
Die in den Sammlungen der Nationalphonothek enthaltenen Exemplare wurden von Verlegern, Produzenten, Autoren und Interpreten freiwillig der Nationalphonothek übergeben. Angekauft werden nur einzelne in kleinen ausländischen Verlagen erschienene Produktionen.
Depositum SUISA
Die SUISA deponiert alle Tonträger, die sie im Zusammenhang mit der Verwaltung der Autoren- und Vervielfältigungsrechte erhält, in der Schweizerische Nationalphonothek. Das Depositum enthält zwei Arten von Tondokumenten
Veröffentlichte Tonaufnahmen
Werkanmeldungen auf unveröffentlichte Tonaufnahmen
Tondokumente aus der wissenschaftlichen Forschung
Depositum der Originalaufnahmen der ethnolinguistischen Forschungen Dr. Mario Vicaris aus der Valle di Blenio und der Valle Leventina
Originaldokumente des Projekts "Wissenschaftliche Befragung zur Geschichte des Radios in der Schweiz" (Oral History)
Depositum Schweizerische Nationalbibliothek
Zur Zeit sind die Tonträgerbestände der Schweizerischen Nationalbibliothek in der Schweizerische Nationalphonothek in Lugano deponiert. Die Benutzung erfolgt über den Ausleihdienst der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern oder der Schweizerische Nationalphonothek in Lugano.
Aufnahmen mit historischen Radiosendungen (1932 bis ca. 1955)
Von 1992 bis 2002 führt die Nationalphonothek mit finanziellen Mitteln des Bundes und in enger Zusammenarbeit mit der SRG SSR idée suisse und Memoriav eine umfangreiche Rettungsaktion für Radiosendungen von 1932 bis 1955 durch, die direkt auf Platten geschnitten wurden. Der Inhalt der Platten wird vollständig 1:1 auf digitale Tonträger überspielt und in einer Datenbank dokumentiert, die hier oder auf der Web-Site von Memoriav konsultiert werden kann. Die Master-Kopien mit Sendungen aus den Studios Lugano, Lausanne, Genf, Basel, Zürich, Bern und Chur werden in der Schweizerische Nationalphonothek aufbewahrt.